Besuch Euro08 Fanzone Basel

Ich habe mich breit schlagen lassen ein Euro08 Spiel in einer Fanzone zu besuchen. Ein Erlebnisbericht.


Anfang Woche fragt mich ein Kollege unerwartet: „Du musst Samstag arbeiten oder?“. Ohne nachzudenken worum es jetzt gehen könnte antworte ich mit Nein da ich zufälligerweise wirklich am Samstag mal frei habe. Böser Fehler. Wie mir eröffnet wird ist dann nämlich ein Besuch der Fanzone Basel angesagt und da ich ja frei hätte, müsse ich einfach mitkommen.

Aber es ist ja so: wenn die EM schon im eigenen Land stattfindet und man die TV-Bilder betrachtet was für ein Fest das jeweils ist, muss man zugeben: einmal im Leben muss man das machen. Ich sage also zu.

Es ist das Spiel Holland gegen Russland. Für mich ein Dilemma. In einem Tippspiel habe ich Russland als Europameister definiert. Durch katastrophale Fehltipps in der Vorrunde liege ich weit hinten. Wenn Russland (absolut unerwartet) gewinnen würde, könnte ich etwas aufholen. Mit einer holländischen Mutter bin ich aber auch Holland verpflichtet. Außerdem sind die Oranje-Fans ziemlich sympatisch.

Mein Herz schlägt für Holland, mein Geld zählt auf Russland.

Los geht es um 13.30 Uhr beim Bahnhof Oensingen. Ich bin schon lange nicht mehr Zug gefahren. Billet lösen hat aber geklappt. Ich war ja der (stillen) Meinung dass wir etwas früh losfahren, in Basel wird dann noch nicht so viel los sein. Ich blauäugiger Thor! Bereits in Oensingen ist das eine oder andere orange Shirt zu sichten. Beim Umsteigen in Olten ist Orange auf der Netzhaut bereits eingebrannt.

Ankunft Basel um halb Drei. Oh u angst! In wat ik daar geïmpliceerde werd? Ach du Schreck! Auf was hab ich mich da eingelassen?

Nichts von wegen gemütliches flanieren auf dem sogenannten Fan-Boulevard Richtung Public Viewings. Das Ganze gleicht eher einem Marsch. Zu Beginn wird der Weg mit einem recht grossen Plakat vorgegeben. Danach sehe ich dann aber keine Beschilderungen mehr. Ist egal, irgendwie scheinen alle zu wissen wo sie hinwollen. An ein paar engen Stellen kommt es zu Stau. Die Plätze sind bereits total voll. Auf diesen werden jeweils Fussbälle umhergekickt. Die ortsansässigen Glaser wirds freuen.

Die Idee ein auffälliges oranges Shirt anzuziehen damit man sich schnell wiederfindet ist ziemlich blöd. Wir sind übrigens nur 4 Leute. Holländisch hört man im Moment aber noch sehr selten obwohl die Kassiererin im Coop vorgibt glücklich zu sein weil sie Schweizerdeutsch hört. Die Russland-Fans sucht man allerdings lange.

Was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht weiss: es werden an diesem Abend zwischen 150’000 und 180’000 Fans unterwegs sein. Rekord. 10’000 russische Fans bilden da eine Minderheit. Orange dominiert die Stadt. Das gilt auch für einen Brunnen den wir gesehen haben, irgendwie wurde dessen Wasser orange eingefärbt.

Nachdem wir die Mittlere Brücke überquert hatten, sind wir erstmal Richtung Fanzone Kaserne marschiert und haben diese auch betreten. Ich wurde nicht abgetastet aber mein Rucksack wurde durchsucht. Das Animationsprogramm lief bereits auf vollen Touren und das Gejohle, der Gesang und die unvermeidlichen Tröten sind allgegenwärtig. Ich habe keine große Lust nun hier bis zum Anpfiff zu stehen. Die anderen sehen das wahrscheinlich ähnlich denn wir laufen durch die Menge durch.

Allerdings haben wir zu dem Zeitpunkt Hunger. Die Mitarbeiter der Verpflegungsstände sind wahrscheinlich auch etwas vom Andrang überrascht, zumindest finde ich man könnte die Essensausgabe effizienter gestalten. Wir entschließen uns die Fanzone wieder zu verlassen, werden aber kurzfristig aufgehalten weil das erste „Sitzt ab wenn ihr für Holland seit“ ertönt. Wagt es bloss nie jetzt stehen zu bleiben. Meine Kollegin hat ihre Haare links und rechts zu zwei Zöpfen gebunden, damit scheint sie eine absolute Attraktion zu sein. Sie wird jedenfalls immer mal wieder angefasst und angesprochen. Solange nicht gerade sehr viel Alkohol im Spiel ist kann man sich zum Glück mit den Holländer auch gut unterhalten.

Kurze Rückblende: vor der Abreise habe ich mir vorgenommen mich mit Sonnencreme einzuschmieren. Jedoch war plötzlich Viertel nach Eins und ich musste los. Das rächt sich jetzt. In den Gassen ist man einigermaßen geschützt aber die Fanzonen sind voll an der Sonne.

Zum Ausgleich statten wir auch dem lokalen Migros einen kurzen Besuch ab. Auf die Idee mir wenigstens jetzt etwas Sonnencreme zu kaufen komme ich aber nicht. Weiter geht es zur Fanzone Riviera. Da gefällt es mir gleich mal viel besser. Zum einen sind wir direkt am Rhein und da gibt es keine grosse Fläche wo man stehen muss. Wir sind zuerst ganz hinten beim rechten Eingang. Die beiden Frauen entschließen sich weiter nach vorn Richtung Leinwand zu gehen um ein Plätzchen zu suchen. Nicht viel später rufen sie mich an. Wegen des Lärms sowohl bei ihnen als auch bei mir verstehe ich nur etwas von 10 Meter und Tribüne. Ich kombiniere: Etwa 10 Meter weiter (viel weiter können sie in der Zeit auch kaum gekommen sein) auf der Tribüne haben sie einen guten Platz gefunden. Zwei Sachen stören mich. Die Tribüne ist weiter als 10 Meter entfernt und sie haben darauf wirklich noch vier Plätze gefunden?

Wir kämpfen uns also durch die Menge durch und suchen die Tribüne ab. Nichts. Rückruf. Lösung: Etwa 10 Meter nach der Tribüne. Aha. Da ist es sogar noch besser als auf der Tribüne denn da hat man direkten Kontakt zum Wasser. Zu diesem Zeitpunkt dauert es noch 3 Stunden bis zum Anpfiff. Wir dürfen den Platz aber auf keinen Fall verlassen, der wäre in Null-Komma-Nichts besetzt. Ich mag mich nicht erinnern dass ich in meinem Leben so lange an einem Ort auf ein Ereignis gewartet habe.

Die Zeit konnten wir uns mit Getränke holen (dauert etwa eine halbe Stunde) und später dann auch Essen holen (etwa 50 Minuten) vertreiben. Das vorhin schon erwähnte Zugehörigkeits-Liedchen wird auch hier gesungen, jedoch wird natürlich zum Aufstehen gebeten da man ja schon sitzt. Zwischendurch wurde ich von einem Holländer etwas gefragt. Ich habe es nicht ganz verstanden (bin nicht sicher ob es an mir oder seinem Alkohol-Pegel lag) und habe deshalb nur mit „Was?“ geantwortet. Fehler! Sofort wurde ich als Deutscher erkannt und ein nicht ganz Deutsch-freundlicher Gesang wurde gestartet. Wir haben aber alle 4 zu erkennen gegeben dass dem nicht so ist und uns als Schweizer ausgewiesen. Sofort hat die Stimmung umgeschlagen, jetzt wurden wir bemitleidet.

Die Stimmung war also fröhlich und ausgelassen. Was passiert dann erst wenn der Match beginnt? Die erstaunliche Antwort folgte um 20.45 Uhr. Ruhe. Natürlich wurde geredet und hie und da mal eine Parole gesungen aber im Vergleich zu vorher war es geradezu still.
Jedes Mal wenn die Russen einen erfolglosen Angriff ausgeführt hatten, wurde geklatscht. Zuerst dachte ich das sei eine nette Geste bis ich mir überlegt hatte dass es wahrscheinlich dem Abwehrspiel der eigenen Mannschaft gilt.

Dann das Tor der Russen. Klar kam keine Freude auf aber auch das Gegenteil nicht, es blieb erstaunlich ruhig. Das änderte sich erst als der Anschlusstreffer folgte. Jetzt kam endlich Stimmung in die Bude! Zu Beginn der Verlängerung war es dann allerdings wieder recht ruhig. Leider konnte sich das bis auf ein paar kurze Höhepunkte auch nicht mehr ändern da der Spielstand nach der Verlängerung 3-1 zugunsten der Russen stand. Verdientermaßen wie man eingestehen muss.

Schnell nach Hause. Ha! Witzig. Ich Vergleich zu jetzt war der Nachmittag eine kleine Menschenansammlung. Aus der Fanzone raus ging ja noch aber auf der Brücke hat es das erste Mal gestockt. Zum Glück sind wir auf dem ganzen Weg nie in ein Gerangel geraten. Stressig war es trotzdem. Da man sich nicht aus den Augen verlieren wollte, hat man immer mal wieder zurück geschaut. Dann war aber plötzlich der Vordermann nicht mehr da. Wir haben uns zum Glück aber immer wieder gefunden.

Vor dem Bahnhof war dann aber endgültig Stillstand. Das hat mich etwas gewundert, zwar sind die Tore nicht so breit aber dass gleich gar nichts mehr geht… Neben dem Eingang hat es ein kleines Restaurant und uns viel auf dass da viele Leute rein gingen aber selten jemand raus kam. Scheint wohl ein kleiner Insider zu sein. Also schnell da rein. Tatsächlich kommt man da auch in die Bahnhofshalle. Und da haben wie dann auch gleich gesehen warum es nicht weiterging; der Bahnhof wurde polizeilich abgeriegelt. Glück gehabt.

Und jetzt wie weiter? Man konnte sich nicht frei bewegen es ging einfach nur nach vorne. Teilweise hätte man die Beine anheben können und wäre trotzdem nach vorne bewegt worden. Da war mir plötzlich nicht mehr so wohl, auch weil wir Vier uns aus den Augen verloren haben. Zum Glück haben wir vorher ausgemacht was wir machen.
Wenn es Durchsagen gab, habe ich sie nicht gehört. Beim Gleis von dem wir glaubten es fährt ein Zug nach Olten sind wir ausgeschert. Da war es etwas ruhiger, wenngleich auch da viele Leute warteten.

Ich verstehe ja dass eine solche Menschenmenge eine logistische Herausforderung ist aber war das nicht absehbar? Wie wir werden doch sicher die meisten am Nachmittag ihr Billet retour gelöst haben, diese Daten sieht die SBB sicher und weiß in etwa mit wie vielen Gästen sie zu rechnen hat. Dafür wurden meiner Meinung nach sehr wenige Züge eingesetzt. Auf diese musste man auch recht lange warten und es dauerte lange bis sie los fuhren. Informationen kamen viel zu spärlich und unverständlich. Während wir warteten wurde auch plötzlich die Anzeigetafel gelöscht und niemand wusste was los war. Nun denn; der Zug kam dann und fuhr später auch los.

Olten war da schon besser, nach dem Aussteigen kamen sofort die Durchsagen und ich habe auch zwei Guides gesehen die den Leuten geholfen haben. Der Zug hatte zwar auch Verspätung, da sie aber ausgewiesen war, wussten wir dass wir warten mussten. Wir dachten der Zug müsste eigentlich leer sein (im Nachhinein fällt mir allerdings auf dass es ja einen Grund für die Verspätung geben musste) weil er aus Zürich kommt. Weit gefehlt. Total überfüllt und total Orange. Ausser den unplanmäßigen Stopps in Hägendorf und Egerkingen geschah sonst aber nichts spektakuläres mehr.

Trotz der Niederlage von Holland und trotz der etwas aufregenden Heimreise war es ein sehr schöner Tag der mir noch eine Weile in Erinnerung bleiben wird. Zum Schluss noch ein herzliches Dankeschön an Basel für die Gastfreundschaft und einen augenzwinkernden Gruß an die Müllmänner.

Go Russland.

Hier gibts Fotos.

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